Meine Berlin Umrundung in drei Tagen

15:20

Ich stehe am 10. Juni 2020 um 6 Uhr am Kreisverkehr in Hohen Neuendorf, meinem Start- und Zielpunkt. Bis 6:25 Uhr sitze ich auf einer Bank, Gedanken kreisen und schließlich richte ich mich auf, schnalle meine ca. sieben Kilogramm schwere Weste um und drücke den Startknopf meiner Uhr. Es geht es los. Drei Tage laufen. Drei Tage draußen. Drei Tage nur mit mir. 

Auf den ersten Kilometern folge ich dem Mauerweg, bis zum Freizeitpark Lübars eine bekannte Strecke. Das einzige, was mich zu dieser Zeit richtig nervte war, dass ich mein Nutella Brötchen verlor. Sollte mein Dessert nach dem Wurstbrötchen sein. Es wurde ziemlich schnell warm, der Getränkevorrat war noch akzeptabel. 

In meinem Beitrag "Berlin Umrundung - Die Vorbereitung" schrieb ich, wo Radfahrer lang fahren können, komme ich als Läufer auch durch. Zwei Monate zuvor war der Weg bestimmt besser zu fahren als jetzt zu laufen. Zwei Kilometer können von der körperlichen Verfassung manchmal sehr lang sein, aber auch von der Wegbeschaffenheit. Gras und anderes wächst eben. So kämpfte ich mich von Kilometer 23 bis 25 durch einen Feldweg, entlang des Lietzengraben. Als ich diesen verließ und plötzlich auf einem Weg stand, kam ein anderer Läufer von rechts. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. 
Besonders gefallen hat mir der Skulpturenpark „Steine ohne Grenzen“ bei Berlin Buch. Durch diesen Park zu laufen brachte Abwechslung und Freude. 

Der Weg zog sich und ab Kilometer 35 hielt ich Ausschau nach Geschäften, um meine Softflasks aufzufüllen. Nichts zu sehen. Ein Blick ins Internet zeigte mir, das da auch nichts kommt. Bevor ich die nächsten Feldwege betrete, muss ich irgendwo nachfüllen, denn die Sonne drückte enorm und daraus ergab sich ein erhöhter Wasserverbrauch.  

In Karow sah ich auf einem Grundstück den erlösenden Wasserhahn. Ich klingelte, nichts. Ich klingelte nochmals, wieder nichts. Das Teufelchen auf der Schulter sagte: "Geh rauf, ist eh keiner da." Das Gewissen auf der anderen Seite: "Mach das nicht, habe Geduld." Dann öffnete sich die Tür und heraus trat Frau Neumann. Ich fragte freundlich, ob ich mein Wasser auffüllen kann und durfte das Grundstück betreten. Frau Neumann und ich unterhielten uns, während ich meine zwei großen und zwei kleinen Flaschen auffüllte. Sie fragte, wohin ich fahre und erzählte, dass ich zu Fuß Berlin umrunden möchte. "Donnerwetter", erwiderte sie.  

Liebe Frau Neumann, 

sie haben mir an diesem Tag einen unglaublich großen Gefallen getan, worüber ich mich noch Kilometer weit freute. Auch das Gespräch mit Ihnen war sehr interessant. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles Gute, bleiben Sie gesund. 

Herzlichst 

René, der Läufer 

Weiter ging es Richtung Wartenberg, Falkenberg und Ahrensfelde. An den Falkenberger Rieselfeldern pausierte ich kurz und beobachtete die schönen Pferde. Neben mir ein älterer Fahrradfahrer, mit dem ich auch ins Gespräch kam. Das ist der Vorteil, wenn man mit der Uhr läuft und nicht gegen sie. 
Am Ahrensfelder Berg wurde ich von Norbert überrascht. Wie schön. Cola, nasses Handtuch zum frisch machen und noch andere Kleinigkeiten. Ich habe mich sehr gefreut und danke euch beiden für die tolle Unterstützung, Andrea und Norbert. 
Nach einer kurzen Pause lief ich weiter und freute mich schon unglaublich auf Anne, die mich auch an der Strecke versorgte. Toll. Auch dir danke ich ganz doll für deine Unterstützung. 

Hönow, Birkenstein, Hunger. Hoppegarten, gelbes M. Was habe ich mich gefreut. Zwei McRib, Pommes und Cola. War das lecker. Nur noch 15 Kilometer bis zum Ziel, bis zur Dusche. Aber der Weg sollte sich noch ziiieeeheeen. 

Nach dem Neuenhagener Mühlenfließ wurde es nochmals anstrengend und acht Kilometer vor dem Ziel sandig. 
Nach knapp 13 Stunden und 79,5 Kilometern beendete ich die erste Etappe. In Gedanken war ich schon bei der zweiten, doch zuvor erstmal eine kleine Erfrischung. Gute Nacht. 

11. Juni, Tag 2

Um 4:30 Uhr war die Nacht zu Ende. Noch bevor der Wecker klingelt, war ich wach. Überhaupt konnte ich nicht gut schlafen. Das lag nicht am Bett im Hotel, eher an meinem Körper. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, das der Wetterbericht recht hatte, es regnete und nicht wenig. Regenfest angezogen, begab ich mich zurück zum Startpunkt. Die Strecke wurde geladen, Start und los. 
Ich lief von Fichtenau Richtung Erkner. Nach sechs Kilometern nahm ich den süßen Duft einer Bäckerei wahr, die ich kurze Zeit später betrat. Streusselschnecke, Laugenbrezel, Espresso. Danke. Die Verkäuferin hatte Redebedarf und ließ sich entsprechend Zeit, während mir das Wasser am Körper herunterlief. Schnell raus und weiter nach Erkner. 
Nostalgie am Bahnhof Erkner
Der Regen ließ nach und hörte schließlich auf. An einer Bushaltestelle wechselte ich meine Sachen und bereitete meinen mobilen Wäschestrockner vor. 
Im vorhinein freute ich mich auf diese Etappe am meisten. Viel am Wasser entlang, schöne Strecke, Natur pur. Bei blauem Himmel und Sonnenschein sieht alles anders aus. Schöner und einladender. Aber hier und jetzt nur grau in grau. Schade. 
Feldwege parallel zur Spree Richtung Neu-Zittau. Nur nicht stehen bleiben. Und wenn doch sind innerhalb von Sekunden meine nicht bedeckten Körperteile mit Mücken bedeckt. Ein Ansporn, voran zu kommen. Gosen habe ich passiert, der Seddinsee liegt rechts von mir und dann ein geschlossenes Tor, das meinen Weg versperrt. Ein paar Irrläufer, die mich, bis ich wieder auf Strecke war, ca. 2,5 Kilometer kosteten. Ich folgte im wahrsten Sinne der grünen Grenze. 
Ein Gespräch am Gartenzaun mit einem älteren Mann 'Am Zwiebelbusch'. Eigentlich wollte er mit dem Auto nach Erkner zur Werkstatt. Und einkaufen wollte er auch noch. Aber eigentlich hat er keine Lust. Ich vermute, es ist an diesem grauen Tag tatsächlich beim eigentlich geblieben. Wir wünschten uns alles Gute und ich lief weiter. Den Oder-Spree-Kanal überquerte ich und kam Schmöckwitz näher. Das ist gut, denn ich hatte Hunger und die Getränke neigten sich dem Ende entgegen. 
Vertieft in meinen Gedanken verpasste ich einen Abzweig und lief direkt nach Schmöckwitz rein, anstatt der Landesgrenze zu folgen. Sollte ich dafür dankbar sein? Wir werden sehen. 
Kurz vor dem geplanten Abzweig nach Eichwalde entdeckte ich eine Tankstelle. Um so näher die Tankstelle kam, desto mehr nahm ich ein großes Schild dahinter wahr. Zuerst ein E, dann ein W, ein E und ein R. Da kaufe ich vier Getränke zum Preis von einem in der Tanke. Sehr gut. Beim Bäcker etwas für den Zuckerhaushalt getan, wie lecker... 
Die nächsten Kilometer bin ich gut voran gekommen. Run & Walk. Mal im 3:1, mal 4:1, aber auch mal im 5:1 Modus. So kann man auch Strecke machen und zack war ich in Bohnsdorf. Es gab ja diverse Erhöhungen, die ich manchmal zu meistern hatte. 30 Meter, die aber gefühlt so hoch waren, als würde man einen Pass überqueren. Viele SportlerInnen werden wissen, was ich meine. 
Meine größten Bedenken vor dem Lauf waren, ob es irgendwelche negativen Auswirkungen vom Stepperbike Rennen am letzten Sonnabend geben könnte. 161 Kilometer auf dem Rad ohne Pedalen und Sitz. Das Gegenteil war der Fall. Es waren zwölf Stunden Mentaltraining. Wie fühlt es sich an, wieder zwölf Stunden auf den Beinen zu sein? Zumindest auf der gestrigen Etappe  konnte ich davon profitieren. Heute war alles anders. Die schweren Beine, das Wetter, einfach alles. Die größte "Gefahr", wenn man um Berlin herum läuft, ist das S-Bahnnetz. Es gibt viele Punkte, an denen man sagen kann, ok, Fortsetzung folgt. Nein, das wollte ich wirklich nicht.  
Die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch und damit hatte sehr zu kämpfen. 88,5% Luftfeuchtigkeit im Tagesdurchschnitt. Es war schwül. Die Sachen meines mobilen Wäschetrockners wurden nicht trocken und der Schweiß floss. Ich hatte einen Tiefpunkt. Da muss ich wieder rauskommen. Es ist doch soweit alles in Ordnung. Ist es doch, oder? Ich wäge ab, was gerade gut läuft und was eher nicht so schön ist. 

Das Wetter, meine feuchten Klamotten, mein Hunger, meine schweren Beine, mein schwerer Rucksack. 

Was kann ich dagegen unternehmen? Gegen das Wetter nichts! 
Gegen die feuchten Shirts, die die Weste noch schwerer machen? Nichts! 
Gegen Hunger und Durst? In den Edeka in Altglienicke rein. Meine Getränkeauswahl war immer die Gleiche: Mineralwasser ohne Kohlensäure, Apfelsaft und ein Radler. Zum Essen gab es Sushi. Zwei große und eine kleine Softflask gemischt aufgefüllt, eine kleine nur mit Wasser zum Händewaschen oder was auch immer. Das hielt ich die ganze Zeit so. Im Edeka hat jemand meinen Einkaufswagen mit meinem Sushi entwendet. Also wieder zurück zum Eingang und eine neue Packung genommen. Ich hoffe, das die erste Packung Sushi schnell zwischen den Regalen gefunden wurde... 

Gegen die schweren Beine konnte ich auch nicht viel machen, die gehören wohl irgendwie dazu, wenn man viel läuft. Hin- und wieder dehnen und Sitzpausen halfen mir weiter. 

Das Gewicht der Weste konnte ich durch trinken und dem entsorgen einiger Riegel beeinflussen. Vier von sechs Riegel, die ich bei mir hatte, wanderten in die Tonne. Die waren so schwer zu kauen, dass ich noch mehr trinken musste, um die Masse runterzuspülen. Einen hob ich als Notfallration auf. Irgendwie konnte ich jetzt noch besser nachvollziehen, warum LäuferInnen bei wirklich langen Läufen, zum Beispiel bei Wüstenläufen, ihre Zahnbürsten halbieren, um Gewicht zu sparen. 

Nach dem das nun geklärt war, konnte ich ohne Bedenken weiterlaufen. 
Durch den Südpark in Schönefeld zu laufen fand ich schön. Viele Blumen und Pflanzen, eine Farbenpracht. Toll. Ehe ich mich versah, war ich auf dem Mauerweg. Der Dörferblick war fest eingeplant, aber bei diesem Wetter und keiner Sicht lief ich außen herum. 
Ich finde, das der Mauerweg innerhalb der letzten zwei Jahre ziemlich gelitten hat. Einmal wurde er sogar umgeleitet. Die Wurzeln der Bäume hoben den Asphalt an. Das hatte ich von den 100 Meilen 2018 nicht so in Erinnerung. Hoffentlich wird der Weg nach und nach wieder ausgebessert. 

In Buckow sah ich eine lange Strecke mit bemalten Steinen, auf denen sehr viele Wünsche standen. Die Zeit, um diese zu lesen, nahm ich mir gerne. Sehr beeindruckend. Frieden, Gesundheit und anderes wurde gewünscht. Sehr schön. 
Es lagen noch 30 Kilometer vor mir und ich beschloss, bis zum Ende dem Mauerweg zu folgen. Das machte die Navigation entspannter. Dachte ich. In Lichtenrade kam ich trotzdem vom Weg ab und machte einen kleinen Umweg, der mich vielleicht etwas über einen Kilometer kostete. 
Mohnblumenfelder, die ich unterwegs sah, waren allesamt schön. Durch den grauen Himmel konnte ich sie nicht in voller Schönheit auf den Fotos festhalten. Trotzdem versuchte ich es. 
Die S-Bahnlinie ist in Lichtenrade unterbrochen. Es fährt ein Ersatzverkehr. War für mich nicht weiter relevant, aber für jemand anderes schon. Die Unterhaltung lief in etwas so: 

Er mit dem Handy in der Hand: Weißt du, wo die S-Bahn fährt? Also der Bus? 
Ich: Ja, habe da vorne einen Ersatzverkehr gesehen. 
Er: Ist das weit? 
Ich: Nein, vielleicht 400 - 500 Meter. 
Er: (Genervt) Man, warum schickt mich mein Handy hier her? 
Ich: Keine Ahnung. 
Er: Jetzt muss ich den ganzen Weg zurück laufen. 
Ich: (Zuerst in Gedanken: Wenn er wüsste...) Vielleicht ein Anwenderfehler. 
Er: Ja, kann sein. Muss mal ein Update machen. 
Ich: Alles Gute. 

Die nächsten fünf Kilometer zogen sich und wieder musste ich mir Gedanken um meinen Getränkevorrat machen. Immer rechtzeitig, um nicht böse überrascht zu werden. Im Bereich Marienfelde nach Unterquerung der B101 gab es rein gar nichts an der Strecke, außer Gartenlauben. Gartenlaube = Brunnen. Suche gestartet. Nummer 1 - keiner da. Nummer 2 - keiner da. Nummer 3 - keiner da. Dachte ich, es kam jemand hinter Haus hervor. Ich fragte wieder freundlichst, ob ich eintreten darf, um meine Flaschen aufzufüllen. "Selbstverständlich" war die Antwort. " Da haben sie aber Glück, wir wollten gerade los." Ich erwiderte, dass ich mich beeile und sie nicht aufhalten möchte. "Lassen Sie sich Zeit. Auch hier kamen wir kurz ins Gespräch, der Mann kam dazu und bestätigte, das es "hier in der Umgebung" gar keine Einkaufsmöglichkeiten gibt. 

Liebe Familie Schulze, 

wenn ich daran denke, wie viele Kilometer noch vor mir lagen bis zum nächsten Verpflegungspunkt, dann bin ich Ihnen heute noch dankbarer für die Getränkestation, als ich es am 11. Juni ohnehin schon war. Durst ist schlimmer als Heimweh. Wie oft ich das unterwegs dachte, weiß ich nicht. 

Ich wünsche Ihnen alles Gute und einen schönen Sommer in Ihrer Laube. 

Herzlichst

René, der Läufer 

Irgendwo in diesem Bereich spürte ich einen kühlen Wind aufkommen. Änderte sich das Wetter? Nö, Thomas kam von hinten angelaufen. Intervalltraining? Junge, junge war er schnell. Zu einem Tach, alles gut reichte es noch :) 

Bei den 100 Meilen von Berlin wurde der VP Osdorfer Straße von der Polizei SV Lichtenrade betreut. Heute stand dort auch die Polizei, aber zur Geschwindigkeitskontrolle. Da konnte ich ganz sicher nicht auffallen. 

Mittlerweile ließ sich die Sonne mal blicken und ich machte Pause am Japaneck. Ein sehr schöner Platz zum verweilen. 
Ein älterer Mann fuhr mit seinem Fahrraddreirad an mir vorbei. Wenige Sekunden später kam er wieder zurück und sagte, er mache auch eine Pause. So kamen wir ins Gespräch und er lenkte mich ab. Wenn er mit seinem Dreirad zu scharf in die Kurve geht, kann es schon mal gefährlich werden und es besteht die Gefahr, das er umkippen könnte. Das ist ihm auch schon passiert, aber er passt auf. Er war so nett, da wollte ich gar nicht weiter. Ich wäre gerne sitzen geblieben, schon aus eigenem Interesse. Aber ein paar Kilometer lagen noch vor mir und die Zeit verging zu schnell. 

In Lichterfelder ein letzter VP bei Edeka. Getränke, trockene Brötchen und Fleischwurst. Herrlich. 

Nach der Überquerung des Teltowkanals war es nun wirklich nicht mehr weit. Nur noch acht Kilometer bis zum Ziel. 
Ich freute mich auf mein vorausgeschicktes Päckchen im Hotel, auf eine Dusche und mein Bett. Habe mir extra noch ein Radler für den Abend bei Edeka gekauft. Ja, Gewicht erhöht, aber das war jetzt egal. 

Und nun stand ich hier am Königsweg. Ich mag ihn aus verschiedenen Gründen nicht, aber heute musste ich ihn nur knapp zur Hälfte laufen und morgen den Rest. 
Am Kreuz Zehlendorf gab es ein Blitzgewitter Richtung Berlin. Praktisch eine digitale Wetterscheide. Ich sah gespannt zu. Ein frisch aufgestellter Blitzer, der bestimmt in noch keiner App zu finden war, schoss ein Foto nach dem anderen. Bei jedem Foto stieß ich ein Bähm aus. Manchmal auch mehrmals hintereinander. Bähm, bähm, bähm. Die zwei Männer, die aus dem Wald kamen (sie haben das Ding da unten aufgebaut), sahen mich irritiert an. Bähm. Sie verstanden schnell. Immer, wenn ich gehen wollte, sagte ich mir, nur noch einen. Tatsächlich wurden die Blitzer weniger. Innerhalb von 15 Minuten wurde gut Kasse gemacht. Der / die eine oder andere darf bestimmt auch mal die Öffentlichen nutzen. Viele Unfälle wurden durch spätes Abbremsen provoziert. Ein LKW musste auf die Überholspur nach ganz links ausweichen. Verrückt. Und dann war da zum Schluss noch dieses weiße Auto... Bähm. 
Noch 1,3 Kilomter bis zum Ziel. Ein harter Ritt war das. Meine Sachen wurden bis zum Schluss nicht trocken. 

Ich beendete den Lauf nach über 77 Kilometer und sage und schreibe über 13 Stunden. Egal, ich habe zwei mentale Tiefpunkte überstanden, habe mir Zeit genommen und mich richtig doll gefreut, es durchgezogen zu haben. Die fünf fehlenden Kilometer vom verpassten Abzweig in Schmöckwitz störten mich absolut nicht. Noch einen Kilometer Fußweg zum Hotel und dann Feierabend. 

Im B&B Hotel Dreilinden war seit 19 Uhr kein Personal mehr, kein Päckchen in meinem Zimmer, super ärgerlich. Ich hatte vorher angerufen, ob es möglich ist, ein Päckchen hinzuschicken? "Ja, kein Problem. Klappt auf jeden Fall", wurde mir versichert. Warum nur hatte ich schon einen Tag zuvor das Gefühl, das es nicht klappt? Meine Frau sagte, "...da hattest du wohl recht..."

Gute Nacht. 


12. Juni, Tag 3 

Wieder hatte ich eine unruhige Nacht. Um 4:45 Uhr war sie auch schon vorbei. Langsam fertig gemacht und runter zum Eingang. Personal war wieder nicht anzutreffen. Immerhin stand am Eingang ein Kaffeeautomat. 1,50 Euro rein, Kaffee gewählt, Restgeld rausgenommen und die Luke war wieder zu. Was war denn das jetzt? Nur wenige Sekunden Zeit zum reagieren? Orrr. 
Um kurz nach 6 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Startpunkt und um 6:24 Uhr drückte ich den Startknopf meiner Uhr. Ich freute mich auf diese Etappe. Nicht nur, weil es die kürzeste ist, sondern weil ich auf dem  Mauerweg mit diesem Abschnitt sehr schöne Erinnerungen verbinde. Die knapp über drei Kilometer auf dem Königsweg schaffte ich ziemlich flott und schon erreichte ich die Landeshauptstadt Potsdam. 
An der Glienicker Brücke suchte ich via Maps einen Bäcker oder ähnliches. Leider erfolglos, alles war zu weit weg. Also weiter als Nüchternlauf. Ich hatte ja noch meine Notration in Form eines Riegels. Die Hälfte konnte ich essen, mehr nicht. Der Weg Richtung Meierei war geschlossen, ein Hinweisschild weiter vorne wäre schön gewesen. Also wieder zurück und der Alternativstrecke folgen. Als ich wieder auf Kurs war, lief ich entlang des Jungfernsees und blieb unter anderem am ehemaligen Grenzturm stehen. 
Neufahrland, Krampnitz und weiter Richtung Schloss Sacrow. Immer, wenn ich auf der Potsdamer Seite / Glienicker Brücke stehe und zum Schloss gucke, denke ich mir, ach wäre ich doch schon da drüben. Bin ich da drüben, denke ich, ganz schön weit bis hier her. 14 Kilometer "Umweg". Schwimmen geht schlecht und eine Fähre gibt es nicht. :) So saß ich auf einer Bank im Schlosspark und genoss den Blick aufs Wasser. 
Gut, wenn man einige Plätze auf der Strecke kennt. So wusste ich, das man beim Schloss ein 50 Cent Stück braucht, um die Tür zum WC zu öffnen. Das hatte ich mir vorsorglich schon am Donnerstag zur Seite gelegt. So konnte ich meine Wasservorräte auffüllen, die nur noch minimal waren. Das wäre geklärt, mein Hunger jedoch war noch nicht gestillt. Es gab aber auch weit und breit nichts, wo ich einkehren konnte. Also weiter. Gegen 11 Uhr und nach 28,5 Kilometern war ich an der Badestelle Groß Glienicke. Die Fensterläden des Kiosk waren zwar hoch, aber der Imbiss noch geschlossen. Ich lief einmal um diese Bude herum und drinnen stand eine Frau. Ich fragte, ob es schon etwas zum Essen gäbe? Leider nein. Ich fand mich schon damit ab, als sie sagte, höchstens eine Butterbrezel. Wie Mitleiderregend muss ich sie angeschaut haben? Ich habe mich so unglaublich gefreut und nahm noch eine eiskalte Cola dazu. 4,50 Euro. Fünf, stimmt so. 
Diese Brezel genoss ich und war wohl eine der besten Brezeln, die ich je gegessen habe. 

Liebe Frau Kioskverkäuferin, 

Sie habe mir mit diesem Verkauf einen sehr großen Gefallen getan. Durch Ihre Flexibilität hatte ich mein spätes Frühstück, welches ich sehr genoss. Kleine Geste, große Wirkung. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Sommer und viel Umsatz. 

Herzlichst

René, der Läufer 

Die nächsten Kilometer liefen / gingen wie von selbst. Kilometer 38, Mauerweg / Herrstraße. Hier traf ich zum wiederholten Male Norbert. Er verpflegte mich, reichte mir ein Radler, ging einkaufen (das übliche an Getränken) und brachte noch Melone mit. Das muss man sich mal vorstellen. Norbert, aus dem Nachtdienst kommend, fährt nach nur wenigen Stunden Schlaf einmal quer durch Berlin, nur um mich zu betreuen. Das kann man doch gar nicht in Worte fassen. Ich füllte meine Flaschen auf und lief dann weiter. Nochmals ein riesengroßes DANKESCHÖN an dich. 
Staaken, Neustaaken, Spandauer Forst, Eiskeller und Schönwalde waren die nächsten Ziele auf der Strecke. Wieder setzte mein Appetit ein und natürlich nichts in der Nähe. Aber ich hatte ja noch die andere Hälfte meines Riegels. Guten Appetit. Von anderen Läufen wusste ich, das es irgendwo zwischen Schönwalde und Nieder Neuendorf eine Art Biergarten gab. Ich hoffte mehrere Kilometer, das dieser geöffnet war. Um so näher ich kam, desto öfter brummelte ich "Bitte, bitte, bitte sei geöffnet." Dann bog ich Richtung Bürgerablage ab und siehe da, sowohl der Biergarten, als auch der Kiosk hatten geöffnet. Eine Curry Rot-Weiss, Pommes und ein Radler. Ich aß vor Ort, schaute aufs Wasser und lächelte. Was für ein Hochgenuss. 
Noch 17 Kilometer bis zum Ziel. Die nächsten fünf immer mit Blick zur Havel. Ein Fotostopp und innehalten Grenzwachturm Nieder Neuendorf. Weiter nach Hennigsdorf und Frohnau. Die letzten Kilometer genoss ich bei schönstem Wetter und freute mich gleichzeitig, gleich bei meinen Liebsten zu sein. Der letzte größere Anstieg lag vor mir und ich ging ihn entspannt an. 
Nur noch einen Abstecher durchs Invalidenviertel und dann sah ich meine Mädels. Wie schön. Nach dem grandiosen und lautstarken Empfang und Umarmungen in Hohen Neuendorf musste ich noch ein paar Meter weiter zum Kreisverkehr um die Umrundung abzuschließen und ging dann zurück. 

Welche Erkenntnisse bleiben mir von diesem Lauf? 

Verpflegung: Selbstversorger zu sein ist eine andere Hausnummer, als zu wissen, das alle paar Kilometer ein VP / Wechselpunkt kommt. Fragen, die mich immer wieder beschäftigten waren, wann kann ich meinen Getränkevorrat wieder auffüllen? Wann kommt der nächste Supermarkt? Beim planen der Strecke hatte ich fest eingeplant, an Häuser zu klingeln und nach Wasser zu fragen. 

Sachen zum mitnehmen: Das hat viel Kraft gekostet. Sechs bis 7 Kilogramm zusätzlich können ziemlich drücken. Der Plan, zu jedem Hotel Sachen voraus zu schicken, war sicherlich eine gute Idee. Wenn das jedoch schief geht, wie im zweiten Hotel, kann das einem schon aus der Ruhe bringen. KANN, muss aber nicht. Immer einen Plan B (oder auch C) zu haben, hilft da sehr weiter. 

Freude oder Last: Im Gegenteil zu einem Wettkampf mit Cut-off Zeiten hatte ich Zeit. Viel Zeit. Und die hatte ich mir gerne genommen. Mit der Uhr, nicht gegen die Uhr. 

Fragen über Fragen: 
War es anstrengend? Ja, immer wieder, mal mehr und mal weniger. Schwere Beine gehören genauso dazu, wie wenig Schlaf. 
Hatte ich Tiefpunkte? Ja. Die kann man auf längeren Strecken vielleicht gar nicht vermeiden. Wenn man sich da aber wieder raus kämpfen kann und es dann wieder läuft, ist das ein tolles Gefühl. 
Habe ich mit mir gekämpft? Ja, speziell am zweiten Tag. Die Luftfeuchtigkeit hat mich sehr gefordert. 
Würde ich es nochmal machen? Ja! Es war eine tolle Erfahrung, nicht nur um mal wieder meine körperlichen Grenzen auszuloten, sondern auch von der Planung bis zur Durchführung her. 
Meine größten Erkenntnisse? Ich habe an mentaler Stärke gewonnen. Ich kann mich auf meine Gefühle und Eingebungen verlassen. Immer wieder fragen, was kommt, was kann passieren, was brauche ich und entsprechend reagieren. 
Was noch? Die spontanen Gespräche mit fremden Menschen waren schön und interessant. Man kann sich in wenigen Minuten sehr viel erzählen. Und mit einem Lächeln kommt man immer weiter! 

Abschließend möchte ich mich nochmals bei meinen Unterstützern bedanken und für die wirklich sehr vielen Kommentare nach meinem Posting. Ich war wirklich überwältigt. 

Gesamtbilanz: 
KM: 225,5 
Dauer: 3 Tage 
Kalorienverbrauch: 15.522 

Bleibt gesund und habt Spaß

René 


Die einzelnen Etappen im Video :) 






Folgend alle Bilder











































































Vielleicht magst du auch

0 Kommentare

Vielen Dank für den Kommentar. Dieser wird schnellstmöglich freigeschaltet.