Mein erster Marathon

10:06

Ich möchte euch mitnehmen auf eine Reise, die 42.195 Meter lang ist. Es ist meine Reise, begleitet mich, ich würde mich freuen. Wenn ich es genau nehme, war die Reise mit 584 Kilometern eigentlich viel länger, als die 42,195 Kilometer und dauerte zwölf Wochen. Also nehme ich euch nur auf das letzte Teilstück, meinen ersten Marathon, mit.

Am Mittwoch, 22.04., fuhr ich bereits nach Hamburg, da ich dort am folgenden Donnerstag beruflich zu tun hatte. Das wiederum hatte gegenüber anderen anreisenden Marathon Läuferinnen und Läufern den Vorteil, dass ich mich bereits an Klima und Zeitverschiebung gewöhnen konnte. :)
Den Donnerstagnachmittag / Abend nutzte ich für einen Spaziergang und einen kurzen sechs Kilometerlauf.


Am Freitag, 24. April, hatte ich frei und genoss die Stunden. Hamburg ist nicht so groß und ich konnte daher die schönsten Punkte bei schönstem Wetter ablaufen. Zunächst holte ich jedoch meine Startnummer ab. Nach zwei Runden durch die Messe ging ich in den Park Planten un Blomen. Knapp zwei Stunden verbrachte ich dort und genoss die Ruhe und die Sonne.


Den ganzen Tag an der frischen Luft, 17 Kilometer zu Fuß. Herrlich. Am Samstag war das Wetter nicht mehr so gut, aber trotzdem kamen wieder viele Kilometer zusammen, die ich diesmal mit meiner Tochter absolvierte. Beim Italiener planten wir, an welchen Stellen sie mich am Sonntag anfeuern wird.

Am Abend noch eine kleine vier Kilometerrunde, zu der ich mich aufraffen musste, hinterher aber zufrieden war, dass ich sie lief. Damit habe ich kein einziges Lauftraining ausfallen lassen.
Die folgende Nacht war in Ordnung, bis auf ein paar Lärmeinlagen gegen drei Uhr von anderen Gästen.

Sonntag, 26. April, Marathontag

Sechs Uhr wecken, fertig machen, zum Frühstück, Puls von 52 gemessen und los mit der U-Bahn Richtung Messe. Überall waren die schicken roten Seesäcke, die als Laufbeutel ausgegeben wurden, zu sehen. Die Anspannung steigt. Ankunft an der Messe. Immer wieder der Blick Richtung Himmel. Es regnet nicht, es regnet nicht, es bleibt trocken.  - Es fängt an zu regnen! Wenn auch nur kurz.
Auf geht's zur Kleiderabgabe. Auch hier spiegelt sich die sehr gute Organisation wieder.
Keine Stunde mehr bis zum Start. Mein kribbeln im Bauch wird größer. Bevor ich mich Richtung Startblock begebe, noch ein Foto, Wasser lassen, gehen, Wasser lassen, gehen und Wasser lassen. Alles muss raus.

Vor dem Lauf
Ich treffe Marathom +Thomas Müller . Wie freuen uns beide, quatschen kurz, lassen noch ein Foto von uns machen und wünschen und gegenseitig alles Gute und einen schönen Lauf.


Noch sieben Minuten. Ich warte im Block H auf den Start und bin jetzt erstaunlich ruhig, mache noch Fotos und Videos, während der Countdown läuft.


Noch zehn, neun,..., drei, zwei eins, Start. Zumindest für diejenigen, die vorne stehen. Als sich dann auch der Block H in Bewegung setzt, meldet sich mein Bauch. Nur noch wenige Meter und ich werde meinen ersten Marathon laufen. Um 9:12 Uhr drücke ich den Knopf auf meiner Uhr und wünsche mir einen erfolgreichen Lauf.


Es regnet leicht, was mir nichts ausmacht. Ich sage immer, so lange der Start trocken ist, passt es. Nass wird man unterwegs sowieso. Die Reeperbahn liegt schon hinter mir und es gab schon einige Ausfälle. Die meisten, die ich sah, humpelten zur Seite und hielten sich einen ihrer Oberschenkel.

Ich finde es immer spannend, wie kreativ die Leute an der Strecke sind. Es gibt bei jedem Lauf ein oder zwei Favoriten, die mir im Gedächtnis bleiben. In Hamburg gab es nur eins, welches mich immer wieder zum Lächeln brachte, und das schon zwischen Kilometer zwei und drei. Auf dem Schild stand:


Lächle, wenn du keine Unterwäsche trägst. :) 

Nach ca. drei Kilometern wird die Straße eng, was bedeutete, das Tempo anzupassen, um nicht in jemanden reinzulaufen.

Die erste Verpflegungsstelle ist zu sehen. Ich habe mir vorgenommen, an jeder Station etwas zu trinken und der immer wieder aufkommende Regen machte es nicht einfach einzuschätzen, wieviel ich ausschwitze. Also trinken, wenn auch immer nur ein bisschen. Insgesamt ließ ich eine Station aus, rechne ich die Cola dazu, die ich vor einem Restaurant gereicht bekam. Danke dafür, war sehr lecker.


Schon vor der ersten Trinkstelle musste ich auf's Klo. Ich war doch gerade erst. Und ihr wisst ja, hat man diesen Gedanken erst einmal im Kopf... In und an den Büschen konnte ich sehr gut sehen, dass ich nicht der einzige war, der dieses Bedürfnis hatte. Da die mobilen Toiletten ständig besetzt waren, lief ich weiter und konzentrierte mich auf meine 5:41 min/km. In die Büsche gehe ich nicht!

Zwischen Kilometer sechs und sieben kam die Wende und die Strecke führte am Wasser zurück Richtung Innenstadt. Der kurze Blick Richtung Hafen war schön und die Zuschauermenge und die Anfeuerungsrufe nahmen wieder zu. Die drei Mann Band spielte ein Lied von den Beatles. Die noch älteren um mich herum freuten sich und ich mich mit ihnen. Schön, wie Menschen sich über Kleinigkeiten freuen können. :)

Irgendwo hier soll meine Tochter stehen. Zu viele Menschen am Rand, ich sehe sie nicht.

Landungsbrücken voraus, mir geht es gut. Ich halte meine Geschwindigkeit erstaunlich gut. So kann es bleiben, wird es aber nicht...
Wir sind wieder in der City, die Stimmung ist großartig, aber die Straßen wieder eng, speziell an den Landungsbrücken.


Von dort aus ging es Richtung Hauptbahnhof und dann kam der einige hundert Meter lange Wallringtunnel. Hatte der Kollege von der Zeitnahme bei Kilometer 15 nun einen guten Platz, weil er im Tunnel stand und nicht nass wurde oder einen schlechten, weil dunkel und laut? Während eines Rennens hat man eben Zeit, sich solche Fragen zu stellen.

Dann kam der Gänsehautmoment, den ich nicht vergessen werde. In der Mitte vom Tunnel fing jemand an zu klatschen. Ganz langsam, wie man es vom Fußball vor Ecken oder Freistößen kennt. Klatsch-Klatsch-Klatsch... Es wurde immer schneller. Der Schall im Tunnel verstärkte den Lärmpegel unglaublich und es hörte sich saustark an. Es ging noch schneller und schneller bis das Klatschen in einen großen Jubelschrei überging. Wahnsinn. Danke für diesen Moment.

Raus aus dem Tunnel, erreichten wir kurz danach die Binnenalster, den Jungfernstieg und dort stand wieder meine Tochter. Diesmal sah ich sie und freute mich. Ein kurzes Lächeln und weg war ich wieder.

Nach dem die Binnenalster umrundet war, wartete die laaange Strecke nach oben. Der Halbmarathon war in 02:02:47 geschafft. Meine Wunschpace von 5:41 min/km konnte ich nicht mehr halten, bei der HM Grenze war ich bei 5:48.

Von Kilometer 22 bis 27 gab es nochmal zwei Steigungen, die gefühlte 9000 Höhenmeter beinhalteten. Bei der 30er Marke verließen mich die Kräfte. Ich ging ca 50 Meter und wusste, dass ich weiter rennen muss, andererseits ist der Lauf beendet. Ich erinnerte mich dabei an einen Trainingslauf, bei dem ich mich nach 29 Kilometern setzte. Ich wollte mich nur kurz ausruhen. Der Lauf war damit beendet, es ging nichts mehr. Das sollte mir nicht wieder passieren. Also weiter im Laufschritt. Ich kämpfe noch ein paar Meter und lächle vor mich hin. Hier, bei Kilometer 31, soll irgendwo meine Tochter stehen. Ich sehe sie wieder nicht. Aber sie ist hier und das gibt mir wieder einen neuen Antrieb. Ich laufe die nächsten fünf Kilometer wieder mit einem Schnitt von ca. 5 Minuten und 40 Sekunden.

Der nördlichste Punkt war in Ohlsdorf bei Kilometer 31 erreicht. Ab jetzt ging es wieder zurück Richtung Messe. Es regnete schon eine ganze Weile volle Pulle, Petrus gab alles. Anfangs brannte es in den Augen, aber nach dem der Schweiß vom Kopf runter war, war es angenehm. Ich höre AC/DC - Thunderstruck. Ganz stark, aber wo steht die Band? Nirgends zu sehen. Dann sah ich sie oben, erste Etage auf einen Balkon. Total abgefahren.


Nur noch sechs. Seit dem 32. Kilometer laufe ich mit jedem Meter eine neue Bestweite. Wie toll. Die nächsten zwei kann ich mich noch selbst motivieren, ab dem 38. Kilometer kann ich nicht mehr. Die Beine sind so schwer. Komme ich überhaupt noch vorwärts? Ja, wenn auch nur langsam. Ich rede mit mir. "Reiß dich zusammen, du hast es gleich geschafft. Die letzten zwölf Wochen hast du nur hierfür trainiert. Du schaffst es." Mir gehen die letzten zwölf Wochen durch den Kopf. Alles drehte sich nur um meinen Trainingsplan für diesen Marathon. Arbeitszeiten, Familienplanung und was sonst noch alles organisiert werden musste. Als ich an meine Frau dachte, die mich unglaublich unterstützte, steigen mir Tränen in die Augen. Tränen der Dankbarkeit. Ich merke, wie die Anspannung zwei Kilometer vor dem Ziel weicht. Ich bin emotional und kämpfe jetzt nicht nur gegen den Mann mit dem Hammer, sondern auch mit den Tränen. Eine Zuschauerin rief mir zu, ich solle durchhalten, ich habe es gleich geschafft. Ich zwinkere ihr zu.

Noch 1,2 Kilometer. Der Fernsehturm ist so nah und doch so fern. Damit ich den Lauf endlich beenden kann, ziehe ich das Tempo nochmals an. Ich sehe den roten Teppich aus der Ferne und betrete ihn schließlich. Ich springe, die Faust Richtung Himmel ausgestreckt, in die Luft und laufe durchs Ziel.

ICH HABE ES GESCHAFFT, ICH BIN EIN MARATHONI! 


Keine Minute nach dem Zieleinlauf rief ich meine Frau an, die meinen Lauf online verfolgte. "Ich habe es geschafft, ich habe es geschafft", sagte ich ihr. Sie freute sich so sehr mit mir und sagte, wie stolz sie auf mich sei. 


Nach dem alle Finisher zu den Messehallen geleitet wurden, nahm ich die wirklich schicke Medaille in Empfang. Ich war stolz wie Bolle und bin es immer noch. 

Die Gravur der Medaille ging ganz fix und die ganze Organisation war wirklich top. Fragen vor dem Lauf mit dem Veranstalter wurden schnell beantwortet, alles super. Nun weiß ich, warum dieser Marathon zu den beliebtesten in Deutschland gehört. 

Die Unterstützung, die ich in den Trainingswochen erfahren durfte, war enorm. Ob, wie oben geschrieben, meine Frau, meine Familie, meine Julia, die sich trotz des Wetters durch Hamburg kämpfte, um mich anzufeuern, Freunde und Bekannte und die Community Running / Laufen bei Google Plus. VIELEN DANK EUCH ALLEN für die aufbauenden Worte und die Motivationen. 

Ps: Ich war unterwegs nicht einmal auf dem Klo. :))) 




Alle Hamburg Bilder findet ihr hier: Hamburg 2015

Zahlenspiele:
Trainingswochen: 12
Läufe: 40
Kilometer: 586.90
Zeit: 57:47:22 h:m:s
Kalorien: 37.791
Neue persönliche Bestzeiten: 5

Wie ich mich nach dem Marathon fühlte, könnt ihr hier nachlesen. Ein Tipp zur Regeneration.

In diesem Sinne, bleibt gesund.

Laufende Grüße,

René

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