EMU 6 Day World Trophy

08:59

Im Juli 2018 meldete ich mich für die EMU 6 Day World Trophy an und zwei Tage nach der Anmeldung kam die Zusage ins Postfach geflattert. Die Tage und Monate vergingen und dann war es so weit. Nur wenige Minuten bis zum Start meines ersten sechs Tageslaufes. Sechs Tage laufen, wann immer ich möchte. 144 Stunden, was man daraus macht, ist jedem selbst überlassen.


Die Wochen davor

Der Trainingsumfang hätte höher sein können. Oder müssen? Sollten knapp über 600 Trainingskilometer reichen? Beruflich war ich ziemlich eingespannt, der Körper müde, was mich im April kurzfristig dazu veranlasste, meine Generalproben, den Airport Run in Berlin am Samstagabend und den Marathon in Tangermünde am folgenden Sonntag, abzusagen. Diese Entscheidungen bedauerte ich für einen Moment, jedoch sollte sich am Ende herausstellen, das mir diese Absagen unglaublich halfen. Physisch, wie psychisch.

Was nehme ich mit? Um diese Frage drehte sich viel. Andrea und ich tauschten unsere Listen aus. Sie hat diesbezüglich einiges mehr an Erfahrung vorzuweisen, jedoch lag ich mit meinen Gedanken nicht allzu falsch. Ich fahre zum 6 Tageslauf und nehme mit... Zuviel! 22,1 Kg wog die Tasche am Ende.

Die Wochen und Tage, sogar die Stunden vor dem Lauf hätte ein Drehbuch für einen Krimi nicht spannender darstellen können. Andrea stand gesundheitlich auf der Kippe. Kann sie starten? Ja, nein, es geht nicht, es geht. Vor dem Start war ihr Ziel, einen Halbmarathon im Gehmodus zu schaffen. Dieses Ziel sagte in der Tat einiges über ihren Gesundheitszustand aus. Das ausgerechnet im Massagezelt an der Strecke ein Wunder passierte, ist bis heute unbegreiflich.

Die Anreise

Fröhliche Musik sollte mich am 8. Mai um 4:30 Uhr wecken. Aufgestanden bin ich jedoch schon eine Stunde früher. So konnte ich mir mit der morgendlichen Prozedur mehr Zeit lassen und das Gewicht meiner Tasche noch reduzieren. Am Flughafen standen dann 22,1 Kilogramm auf der Anzeige. 900 Gramm oder neun Tafeln Schokolade unter dem Erlaubten. Meine ordentlich gepackte Tasche wurde mit viel Liebe durchwühlt und die Powerbank entsorgt. Danke.

Auf dem Flughafen in Budapest bestätigte sich meine Vermutung, das die zwei in Tegel vor mir stehenden und sportlich aussehenden Kerle auch nach Balatonfüred zur gleichen Veranstaltung wollen. Michael Vanicek und Mark Becker, Utralauf Erfahrung erster Klasse. Mit Mark sollte ich dann noch viele Stunden zusammen verbringen.

Der Zug fuhr die letzten Kilometer parallel zum Balaton und ich erinnerte mich an ein Jahr zuvor, als ich den Balaton umlief. Irgendwie fühlte sich die Fahrt an, als wäre ich auf dem Weg ins Ferienlager. Wir fuhren zwar früher weder mit dem Zug ins Ferienlager, noch am Wasser entlang, aber trotzdem. Wer ist mit wem im Zimmer? Wie sind die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer drauf? Und überhaupt, was erwartet uns.
Vom Bahnhof wurden wir mit dem Auto abgeholt und fuhren in nur wenigen Minuten zum Campingplatz, wo wir freundlich empfangen wurden. Der Platz selbst war groß und gepflegt, der Bungalow klein und sauber und beinhaltete alles, was wir für die nächsten Tage benötigen. Dusche, WC, Küchenzeile und zwei Zimmerchen.

Andrea und ich waren damit beschäftigt, unsere Sachen systematisch einzusortieren, damit wir beim wechseln der Sachen nicht lange suchen müssen.

9. Mai bis 15. Mai - Es geht los

Es regnete, zum Frühstück gab es unter anderem Rührei. Die Startnummernausgabe fand gegen 10:30 Uhr statt. Alle Anwesenden wurden einzeln aufgerufen und ich bin der Meinung, das mindestens jeder zweite dachte und hoffte, das es endlich bald losgeht.

Schließlich war es soweit. Um 12 Uhr wurden wir endlich auf die Strecke geschickt und von nun an hieß es, mach was draus. Laufe, wann immer und so lange du möchtest. Mein Ziel definierte ich schon Wochen vorher. 400 Kilometer wollte ich schaffen, 66,66 Km pro Tag. 
Wir starteten im Regen, der noch knapp drei weitere Stunden auf uns herab prasselte. Nach schon 13 Kilometern waren meine Schuhe und Socken komplett durch. Um keine Blasen zu riskieren, wechselte ich beides zum ersten mal.
Vier paar Laufschuhe, sowie Sandalen und Barfußschuhe, hatte ich dabei. Eigentlich viel, wenn ich jedoch alle 13 Kilometer wechseln muss, ist es gar nicht mehr so viel. Die nassen Schuhe und Socken müssen trocknen und ich bin nicht alleine im Bungalow, um Sachen zum trocknen hat. Zum Glück änderte sich das Wetter und die Sonne kam am Nachmittag durch.
Kaffeepause und anderen beim Laufen zuschauen
Das Essen wird täglich zum Bungalow gebracht und auch sonst gab es alles mögliche am langen Verpflegungsstand - rund um die Uhr. 

Die Massage am Abend war schmerzhaft, tat aber gut. Anschließend lief ich noch ein paar Runden und nach 23 Uhr ging ich von der Strecke. Duschen, hinlegen, Beine hoch. Schlafen konnte ich nicht, ich war zu aufgekratzt.
Andrea kam nach ihrer Massage in den Bungalow und sagte, "Das glaubst du nicht..." Ich rechnete mit dem Schlimmsten und dann sagte sie, das sie fast keine Schmerzen mehr habe. Die Physios haben bei ihr eine Kettenblockade gelöst. Sie investierte zuvor in Berlin viel Zeit in Besuche verschiedener Praxen. Die Ergebnisse waren nie zufriedenstellend und am Ende war es eine Kettenblockade, die ihr solche Schmerzen bereitete. Fünf mal knack, fünf mal Autsch und sie war befreit - von den Schmerzen her und vom Kopf. Ich freute mich unglaublich für sie. Ihr Rennen, welches noch vor wenigen Stunden auf Kippe stand, begann jetzt.
Läuferinnen und Läufer aus über 20 Nationen nahmen am Lauf teil. 
Nach vier Stunden ausruhen, an schlafen war wieder nicht zu denken, war ich um 4:30 Uhr wieder unterwegs. Mit vielen Pausen schaffte ich in 23:36 Stunden 100 Kilometer. Voll im Soll.
Was mir zu schaffen machte, war der von der Physio durch die Massage angekündigte Muskelkater in den Oberschenkeln. Sie schmerzten. Mehr Magnesium solle ich zu mir nehmen, sagte sie noch.

Ich merkte eine Druckstelle an der Ferse. Ein Schuhwechsel sollte Abhilfe schaffen, daher lief ich erstmal in Sandalen und auch barfuß weiter. Ich nahm mir schon zu Hause vor, Körpersignale wahrzunehmen und wenn nötig zu handeln.
Hilfe zur Selbsthilfe. Freiheit den Fersen. Schmerzfrei weiter. 
Am mittlerweile 3. Tag fiel es mir schwer zu laufen. Die Kilometer zogen sich wie Kaugummi. In elf Stunden schaffte ich gerade mal 45 km. Ab zur Massage, sie können meine Beine bestimmt wieder auffrischen und fit machen, wenn höchstwahrscheinlich auch nur wieder mit sehr viel Schmerz. Ein sonniger Tag ging zu Ende, ein leichter Sonnenbrand zierte mein Gesicht und mittlerweile hatte ich über 200 Kilometer auf meinem Konto.

Gegen Mitternacht setzte Regen ein, den ich nur aus dem Bungalow heraus wahrnahm. Durch die dünnen Wände konnte man alles von draußen hören. Jede Läuferin, jeden Läufer, die schweren, schlürfenden Gänge, die Gespräche, die Anfeuerungen, einfach alles. Es war aber auch das erste Mal, das es mich nicht störte, denn ich war zu müde. Einzig die Schmerzen in der Wade machten mir zu schaffen. Nach der Massage am Abend setzte ich mich eine Weile in ein Zelt und kühlte aus, was zu Krämpfen führte. Wie dumm von mir.

Ich liege im Bett, die Beine laufen noch weiter und ich weiß einfach nicht, wie ich liegen soll. Alle Positionen sind unangenehm.

12. Mai, die Wettervorhersage sah nicht gut aus. Um 6:12 Uhr begab ich mich ohne Beinprobleme auf die Strecke. In der ersten Stunde schaffte ich 6,5 Kilometer. Habe ich gestern noch 35 Kilometer in 9 Stunden geschafft, waren es heute schon wieder 42. Um 12 Uhr war Halbzeit - Bergfest. Drei Tage waren wir mittlerweile unterwegs.
Wenigstens den stärkeren Regen durch Kreativität abwenden
Egal zu welcher Tageszeit, fand sich, so man es denn wollte, immer einen Laufpartner, um gemeinsame Runden zu drehen, sich auszutauschen oder Laufgeschichten zu erzählen. Viele Runden lief ich mit Mark. Beeindruckend fand und finde ich, wo und was er schon alles lief.
Ich spürte nach einer Pause, dass mein linkes Bein, die Wade, Probleme bereitete. Ab zur Massage. Anschließend sollte ich noch 20 Minuten auf dem Boden liegen bleiben und Beine im 45 Grad Winkel hoch halten. Als Ablage diente eine Massageliege.

Am Abend, nach Feierabend, saß ich im Bungalow. Beim aufstehen zuckte ein ungewohnter und stechender Schmerz durchs Bein und ließ mich direkt wieder auf die Sitzfläche fallen. Auch ein weiterer Versuch blieb erfolglos. Ich schaute auf meine linke Wade und dachte, ich gucke nicht richtig. Sie hat massiv an Umfang gewonnen. Wechselduschen halfen nicht, ich legte mich hin. Als Andrea reinkam, sagte ich ihr, dass ich nicht weiß, ob ich morgen weiterlaufen kann. Sie empfahl und gab mir ihr Tens Gerät und während das Gerät arbeitete, schlief ich ein.

Am nächsten Morgen konnte ich ohne Probleme starten, verordnete mir jedoch für den ganzen Tag den Gehmodus. Es dauerte einige Kilometer, bis sich mein Kopf darauf einließ, nur zu gehen, aber irgendwann klappte es. 30 km in 5,5 Stunden fand ich in Ordnung und gar nicht mal so langsam. In den Pausen pflegte ich meine Beine und schaffte immerhin 55 Kilometer bis zum Abend.

Am 13. Mai kurz vor 13 Uhr knackte ich die 300 km und hatte folglich noch 100 km in fast zwei Tagen zu bewältigen, um die 400 zu erreichen. Klingt absolut machbar, selbst wenn ich nur gehe.
Das Wetter war nicht auf unserer Seite, es regnete und stürmte. Die Helfer hatten alle Hände voll zu tun, die Strecke zu sichern und anschließend zu säubern. Es waren sieben Personen erforderlich, um das Massagezelt vor dem wegfliegen zu sichern.
Zum zweiten Mal vergaß ich meinen Chip, was mich insgesamt drei Runden kostete.

Nun hatte auch ich mein kleines Wunder. Am 14. Mai war mein Bein wieder in Ordnung, ich lief mit Mark einen Halbmarathon und kam meinem Ziel mit jeder Runde näher. Herrlich, was für ein Gefühl.

Es war bereits dunkel, als ich wieder auf Strecke ging. Andrea und ich drehten viele Runden gemeinsam und staunten nicht schlecht, als Teile der Strecke mit Teelichtern dekoriert wurden. Was für ein toller Anblick. Selbst die kleine Erhöhung, die von den meisten nur noch gegangen wurde, sah zum ersten Mal schön aus.


Auch am VP wurde die Stimmung ausgelassener und der Kreativität beim zubereiten des Snacks keine Grenzen gesetzt. Das entsprechende Bild findet ihr weiter unten.

Am 15. Mai um 7:12 Uhr habe ich mein Ziel erreicht. 400 Kilometer. Es folgten mehrere Highlights nacheinander. Mark erreichte um 10:28 Uhr sein Ziel von 600 Kilometern. Dabei wurde er von Micha über die Ziellinie begleitet. Er wurde mit 601,559 km bester Deutscher, herzlichen Glückwunsch. 
Andrea lief nur wenige Minuten später über die Ziellinie und schaffte so ihre 450 Kilometer, nach dem der Halbmarathon ihr Ziel war. Sie stand unter Strom und wir liefen die letzte Runde tatsächlich im 5:30er Schnitt. Die Freude im Ziel war unglaublich groß.

Ziel 400 Km erreicht - Video

Tagelang war es ein Zweikampf zwischen Dan Lawson (hält den Streckenrekord für das Grand Union Canal Race -145 Meilen- und gewann 2016 die 24-Stunden-Europameisterschaft) und Tiziano Marchesi (413,680 km in 48 Stunden). Leider verletzte sich Tiziano gegen Ende und konnte nur bedingt weiterlaufen. Als ich auf Höhe des Bungalows von Tiziano war, sagte Dan zu ihm sinngemäß, das er aufhört, da er so nicht gewinnen möchte. Das passte dem Italiener nicht und sagte, das er weiter machen soll. Dan und er überschritten zusammen die Zeitnahme und erreichten so zusammen die 900 Kilometer. Schließlich gewann Dan mit 920,140 km zu 914,166 km. Was für eine Spannung und Leistungen. Für seine Fairness erhielt Dan einen Fair Play Pokal.

Die letzten Runden liefen die meisten mit Fahnen ihrer Heimatländer. Unglaublich viele Gänsehautmomente durfte wir in den letzten Minuten erfahren.

Bei der Siegerehrung wurden wieder alle einzeln mit Namen aufgerufen und erhielten neben der Medaille noch allerlei Sachen, wie zum Beispiel ein Finisher Shirt.

Es war für mich der bisher längste Lauf. Sechs Tage, 412,483 Kilometer, 68,75 Kilometer pro Tag. Das ist so unglaublich viel, so weit.
Insgesamt liefen 94 Läuferinnen und Läufer 45942.797 Kilometer.
Nicht nur, das meine Familie mich wieder grandios unterstützte, hatte ich auch etwas zum lesen im Gepäck. Einen Brief für jeden Tag von meiner Tochter Laura. Ein Satz aus einem ihrer Briefe wurde zum Leitsatz für den ganzen Lauf: "Lieber kleine Schritte, als keine Schritte." Der letzte Brief war jedoch nicht von Laura, sondern von meiner Frau. Wie toll und lustig zugleich. Als hätte sie das Wetter vorhergesehen, beschrieb sie, wie ich mich gerade durch den Regen kämpfte.
Mein Siegerkuchen zu Hause
Diese Laufveranstaltung empfehle ich ganz klar weiter. Die Runden waren Abwechslungsreich durch Richtungsänderungen und nie langweilig. Der Weg war breit genug, das zwei Personen nebeneinander gehen oder laufen und ein dritter überholen konnte. Die Organisation war überwältigend. Die Helferinnen und Helfer, die Physios und Lieferanten machten einen grandiosen Job. Unglaublich. 

Ebenso begeistert war ich davon, wie viele Leute zu Hause den Live-Ticker nutzten und sich die Liveübertragung anschauten. 

Auch ein Dank an alle, die mich von zu Hause aus unterstützten. Um so länger man läuft, desto wertvoller sind liebe Kommentare oder gesprochene Worte.  

Würde ich dort nochmals an den Start gehen? Ja! Nächstes Jahr? Wir werden sehen...

Danke fürs lesen, bleibt gesund

René 


Es folgen alle Fotos und Videos nicht sortiert. 


Die Runde im Video (8:57 min) 
Die Runde im Schnelldurchlauf im Video (1:08 min) 



































































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