25 Jahre Mauerfall - 25 Kilometer entlang der ehemaligen Grenze

11:03

Irgendwie kann ich gar nicht glauben, dass es nun schon fünfundzwanzig Jahre her ist, das die Mauer fiel, dass die Grenzen zum damaligen West-Berlin und zur BRD geöffnet wurden.
Nach unserem Spaziergang am Sonnabend (8. November) vom Potsdamer Platz bis zum Brandenburger Tor, wo Udo Lindenberg Live probte und zurück, herrschte eine fantastische Stimmung. Die Lichtergrenze war eine sehr schöne Idee und rief bei sehr vielen Menschen wieder die Erinnerungen von damals, als es die Grenze noch gab, hervor. Sie waren in Gesprächen vertieft und diskutierten. Sie schauten sich auf den überdimensionalen Videowänden Filme von der Teilung bis zur Öffnung an.



Sonntag, 9. November: Am Vorabend überlegte ich mir, welche Strecke ich am Sonntag laufe. Ich hatte Lust auf etwas Neues, etwas, dass ich bis dato noch nicht gemacht habe. Die Lichtergrenze stand entlang der ehemaligen Grenze... Warum also keinen Mauerlauf starten? Diese Idee fand ich super. Wird gemacht.

Mit dem Auto bis nach Hohen Neuendorf und dann entlang des Mauerweges bis nach Hennigsdorf und zurück. Eine ganz neue Strecke, auf die ich richtig Lust hatte. Start war um 9:43.


Zuerst lief ich durch eine 'Invaliden-Siedlung' und kurze Zeit später weg von der Straße. Die nächsten Kilometer nur noch durch grünes Gebiet.



Während ich meine Meter runterlief, gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Zum Beispiel der 7. Oktober 1989. Ich war sechszehn Jahre und mit meinem Cousin in einer Eckkneipe in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg. Nach unserem Bierchen wollten wir weiterziehen, aber es ging nur in eine Richtung, nämlich in die, in die sich der Demonstrationszug bewegte. Seitenstraßen waren durch Polizisten abgesperrt. Also liefen wir mit durch Prenzlauer Berg. Irgendwann waren wir in der Schönhauser Allee, Pappelallee, Raumerstraße. Viele Menschen hatten eine Kerze im Fenster stehen und man sah ihre Schatten. "Bürger lasst das glotzen sein, auf die Straße, reiht euch ein!" riefen wir immer wieder. Viele kamen dieser Aufforderung nach, denn mittlerweile mussten es mehrere tausend Menschen sein, die mit uns liefen.
Durch abgesperrte Straßen wurden wir zielgerichtet Richtung Alexanderplatz geleitet, wo es dann zu den bekannten gewalttätigen Übergriffen der Polizei und Staatssicherheit in der Mollstraße kam. Kleine Schlagstöcke mit einer Eisenkugel vorne dran sehe ich noch vor mir. Menschen auf dem Boden liegend wurden getreten und verhaftet. Mein Cousin und ich ließen uns nicht los. Wir rannten erst Richtung Märchenbrunnen und dann wieder zurück Richtung Alex. Aus sicherer Entfernung überlegten wir uns, wie wir da wegkommen. Es war schon nach Mitternacht, als wir uns Richtung Heimat bewegten. Auf Umwegen schafften wir es schließlich.



'Willkommen in Berlin' möchte der Bär auf der A111 an der Stadtgrenze sagen. Von den Bären gibt es in Berlin drei Stück. Diesen Blick hatte ich nach ca. 8 Kilometern am ehemaligen Grenzübergang Stolpe.





In Hennigsdorf angekommen, lief ich eine Runde ein paar Kilometer am Oder-Havel-Kanal entlang und begab mich auf den Rückweg.


Als ich vor kurzem Kartons auspackte, hielt ich nach vielen Jahren wieder meine Stasi-Akte in den Händen. Nach einem Besuch in der Normannenstraße vor vielen Jahren forderte ich sie an, nicht wissend, ob es überhaupt eine gibt. Tatsächlich wurde sie mir nach vielen Monaten Wartezeit zugeschickt. Nicht dick, nur sieben Seiten, ein Heft der Erinnerung. Mein damaliger Geschichts- und Sportlehrer, super und kumpelhafter Typ, war ein IM. Das konnte ich irgendwie nicht glauben. Wir unterhielten uns viel über Sport, speziell Fußball und Fans. Diverse Fragen diesbezüglich erschienen nun in einem anderen Licht. Auch eins von drei Verhören (zwei in der Schule), mit verschiedenen Themenschwerpunkten, hatte ich evtl ihm zu verdanken. Denn dort ging es nur um Fußball und Fans. Das Gespräch fing super an. Wir sprachen über die DDR Oberliga und Vereine. Ich kannte mich aus, ich hatte Ahnung. "Wo stehst du denn immer, wenn du zum Fußball gehst?" "Mit welchen Fans hast du Kontakt?" Über was unterhalten sich die anderen immer?" und so weiter. Ich musste sie enttäuschen. Wenn ich beim Fußball war, dann alleine, mit meinem Cousin oder Freunden und Familie. Mit der Frage: "Du kennst doch bestimmt einen Sven K.?" Ich überlegte eine Weile, für einen der beiden aber zu lang. Mit ernster und kräftiger Stimme sagte er: "Wir können uns auch gerne woanders weiter unterhalten." Mit ihm war ich mal in der Schule, Kontakt hatte ich schon länger nicht mehr. "Wir wissen, dass du ihn kennst." "Warum fragen sie mich dann?", fragte ich.
Eine Stunde 'unterhielten' wir uns.

Meinem damaligen Lehrer nehme ich das nicht übel. Stünde er eines Tages vor mir, würde ich von ihm nur eine Entschuldigung dafür verlangen, dass er meine Familie als asozial bezeichnete. Das waren wir bestimmt nicht. Ich hatte mit meinen Geschwistern eine fantastische Kindheit, uns fehlte es an nichts. Es gab mit Sicherheit Familien, denen es nicht so gut ging, wie uns. Die Wohnung immer sauber, alles war schick. Dafür würde ich eine Entschuldigung verlangen, der Rest ist mir egal.

Die zwei anderen Treffen waren für mich aus heutiger Sicht, eher belanglos. Damals hatte ich natürlich die Hosen voll. Alles in allem muss ich sie in allen Gesprächen enttäuscht haben, denn es stand geschrieben, dass ich mich nicht als IM eigne.

Die Beine waren mittlerweile sehr schwer und da war noch diese eine Herausforderung:


Auf dem Hinweg dachte ich mir noch, wo es jetzt runtergeht, muss ich nachher auch wieder hoch. Da ging mir als Flachlandläufer die Pumpe.

Ich habe meinen Lauf am 9. November 2014 nach genau 25,00 Kilometer beendet.


Danke fürs lesen, bleibt gesund!

Euer René

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